Letzte Woche hatte ich ein Elterngespräch zum Therapieende. Ein Klient, der nun nicht mehr jede Woche zu Emmely und mir kommt. Das ist im Moment häufiger so – viele meiner Klienten hören gerade auf – das liegt ein bisschen daran, dass ich hier vor 4 Jahren angefangen habe und einige Klienten sozusagen mit mir zusammen anfingen. Außerdem dauert eine Therapie im Durchschnitt etwa 3-4 Jahre bei uns.
Aber Ole war sogar schon vor mir da. Und nun hört er nach 5 Jahren auf – das ist eine lange Zeit und Ole hat ganz ganz viel gelernt.
Einige von Euch kennen Ole auch bereits aus dieser Blogreihe – falls nicht schaut doch mal
hier und
hier Ich hatte also ein letztes Elterngespräch mit dem Papa vom Ole. In dem Abschlussgespräch blickten wir nochmal zurück, wie es war als Ole bei uns angemeldet wurde: Was fiel ihm schwer, was konnte er schon? Was hat sich in den Jahren hier getan? Was hat Ole gelernt? Aber auch was haben die Eltern mitnehmen können?
Und man schaut ein wenig in die Zukunft: Wohin kann der Weg für Ole gehen? Welche Wünsche hat der Papa für Ole? Welche Sorgen und Ängste?
Als Ole bei uns ankam, war er 4 Jahre, sprach nur wenig Worte – meistens sprach er in einer Phantasiesprache mit sich selbst oder wiederholte Wörter, die er gehört hatte. Wenn er zum Beispiel den Zug haben wollte, führte Ole die Hand eines Erwachsenen in die Richtung des Zuges und hoffte darauf, dass man ihn verstand. Ganz oft hatte er Wutanfälle, bei denen er sich auf den Boden warf, schrie, weinte und um sich trat. Manchmal, weil er nicht verstanden wurde und nicht wusste, wie er sich mitteilen, manchmal aber auch, weil Ole ein „Nein“ nicht gut aktzeptieren konnte.
Auch war nicht klar, wie viel Sprache er überhaupt verstand.
Vor ziemlich genau vier Jahren stieg ich in den Fall „Ole“ ein und von da an kam Ole für jeweils eine Therapiestunde zu einer Kollegin und zu mir.
Ich weiß noch, wie unsere erste Zeit war: Ole hat sich eigentlich immer nur Lego oder Zug zum Spielen ausgesucht und wenn er seinen Willen nicht bekam, wurde er wütend und frustriert. Das Spiel mit Lego und Zügen war jedoch sehr „eintönig“: Er spielte immer gleich und auch nur alleine – ich durfte nur zugucken. Am Ende der Stunde war das Aufräumen mindestens genauso schwer für Ole – wir mussten schon immer einige Minuten eher damit anfangen, um Zeit für die Wutausbrüche einzuplanen..
Etwa ein Jahr später konnte Ole bereits einige seiner Wünsche mit einzelnen Worten ausdrücken, außerdem hatte er sich an den Ablauf der Therapie gewöhnt und die Wutausbrüche wurden weniger und lenkbarer.
Ab da durfte auch Emmely dazu kommen. Denn natürlich geht nicht nur die Sicherheit und der Schutz unserer Klienten vor, mindestens genauso wichtig ist mir, dass meinem Indianermädchen nichts passiert.
Ole war nicht nur einer meiner ersten Klienten, sondern auch einer der ersten Klienten für Emmely.
Anfänglich bestand Emmelys Aufgabe nur darin, Ole neugierig zu machen und ihm seine Unsicherheit gegenüber Hunde zu nehmen.
Vorallem mit Emmelys freundlichen Begrüßung im Wartebereich konnte er zunächst nichts anfangen, erst im Therapieraum siegte dann die Neugier und er suchte Kontakt zu ihrem Plüschschwanz, der immer so lustig hin und her wedelte. Viele Stunden verbrachten wir einfach damit, dass Ole ihr das Futter durch den Raum warf und Emmelys Schwanz streichelte, sein Gesicht dran hielt und jedes Mal in Lachen ausbrach – vielleicht weil es kitzelte.
Als er sicherer wurde, warf er das Futter nicht mehr so weit weg. Manchmal ließ er es sogar direkt an seine Füße fallen und er traute sich auch, sie an der Halsgegend zu streicheln. Und er fing an, „Emmely“ zu rufen, wenn ich sie zum Beispiel hinter der angelehnten Tür versteckte und sie wieder reinkommen sollte.
Als Ole dann so weit war, dass er auch kleine Aufgaben verstand und ausführen konnte, durfte er dann das Futter von Emmely an verschiedenen Stellen verstecken, die ich ihm sagte und zeigte. Wir gingen draußen spazieren, spielten mit Emmely Ball und Frisbee, trafen andere Hunde, malten Emmely und spielten Verstecken (Ole sollte sich verstecken und Emmely durfte suchen).
In unseren letzten Therapiestunden fragte Ole teilweise ohne Talker, ob er das „Hundespielzeug“ haben kann, bat darum Emmely streicheln oder füttern zu können. Manchmal bedankte er sich sogar, wenn ich ihm den Wunsch erfüllte. Einmal schrieb Ole von seinem Talker den Namen „Emmely“ ab und brachte mir den Zettel mit. Er fand den angesabberten Ball von Emmely „ekelig“, er teilte sich mit ihr die frisch gebackenen Hunde-Kinder-Bananenkekse, machte mit ihr den Trick „Drehen“ und zog Emmely ohne meine Hilfe Halsband und Leine an.
Wutausbrüche hat Ole nur noch sehr sehr selten und die sind kein Vergleich zu früher. Ole hat nun mehrere Möglichkeiten sich auszudrücken, sei es durch Zeigen, durch den Talker, durch Schreiben oder Sprechen. Und wenn er mal nicht weiß, wie das Wort heißt, dann sucht er nach etwas, was Ähnlich klingt oder ähnlich aussieht.
Zum Beispiel kam er vor einiger Zeit mit roten Essensflecken auf dem T- Shirt von der Schule nach Hause. Sein Vater fragte ihn, was es zum Mittag gegeben hatte und vermutete Spagetti. Ole antwortete „Nein, Pizza“. Tatsächlich gab es aber Lasagne zu Essen, aber davon hatte Ole kein Bild auf seinem Talker und schließlich sehen Pizza und Lasagne ähnlich aus – vorallem wenn beide mit Käse überbacken sind.
Letztens wollte Ole die Schule schwänzen und lieber Karten mit seinem Papa spielen und wenn er sein Papa ihn nervt, dann sagt er „Halt die Klappe“ oder „Lass mich in Ruhe“.
Ole ist in vielerlei Hinsicht vom Entwicklungsstand her nicht seinem Alter entsprechend.
Das wird er vermutlich auch nie in allem Bereichen sein. Aber er hat enorme Fortschritte gemacht, vorallem in der Kommunikation.
Seine Eltern haben aber auch viel geschafft. Sie haben viel über Autismus gelernt, können Ole nun besser annehmen so wie er ist und vergleichen ihn nicht mehr ständig mit Kindern in seinem Altern. Sie sehen stattdessen die vielen kleinen und großen Schritte, die er schon gemacht hat und können realistischer die Zukunft planen.
Warum hören wir auf, wenn Ole noch so viel lernen kann – dass fragt Ihr euch vielleicht?
Jeder von uns kann immer noch mehr lernen und noch besser in bestimmten Dingen werden.
Aber nach einer so langen Zeit braucht man einfach mal eine Pause vom vielen Input bekommen.
Und Ole bekommt ja nicht nur bei uns Förderung und Unterstützung, sondern auch Zu hause und in der Schule. Und mit diesen vielen Ressourcen kann Ole gut auf uns verzichten und wird sich trotzdem weiterhin positiv entwickeln können.
Manchmal kommen Klienten wieder, wenn die Pubertät einsetzt und die Hormone verrückt spielen. Aber eigentlich wünsche ich mir das natürlich nicht für meine Klienten, auch wenn ich natürlich neugierig bin, wie Ole mit 14/15 Jahren so ist.
Nun kommt Ole also nicht mehr.
Und nach einer so langen Zeit, kann man auch mal Danke sagen:
Danke Ole, dass wir so viele lustige Stunden zusammen hatten. Danke für deine meist sehr pfiffigen Ideen. Es war schön, dass ich dir ein paar Dinge zeigen und beibringen, aber auch von dir noch so viel lernen konnte.
Danke Emmely, dass du so geduldig mit Ole warst, wenn er mal wieder ewig gebraucht hat, bis er dir den Hundekeks gab, weil er mit den Gedanken wieder woanders war. Dass er mit deinem Schwanz spielen durfte und du dich einfach auf die Kekse in meiner Hand konzentriert hast. Danke, dass du auch auf ihn gehört hast, wenn er die Worte noch nicht richtig aussprechen konnte, sich doch aber so bemüht hat. Danke, dass du unsere Stunden so lebendig gemacht hast, weshalb Ole manchmal schon im Treppenhaus nach dir verlangte.
[Das ist ein Beitrag für die Blogreihe
miDoggy Weihnachtssterne von Julia. Die hatte nämlich in diesem Jahr die Idee, dass wir mit deren Hilfe die Social-Media-Welt voller Liebe und Dankbarkeit erfüllen können. Die liebe
Mara, die auch unserer Logo entworfen hat, hat dazu die Sterne gezeichnet, die Euch bestimmt schon aufgefallen sind. Und weil ich ein wenig betrübt darüber bin, dass die Zeit mit Ole nun vorbei ist, aber mich auch darüber freue, dass er so viel geschafft hat und Emmely und ich ein kleines Stück dazu beigetragen haben, dachte ich, ein Beitrag wie eben dieser passt gut in die Blogreihe.]
2 Gedanken zu “Indianermädchen@work [Danke Ole, Danke Emmely]”
Wow, selten habe ich so viele Emotionen in einem Text gelesen. Sehr schöner Text, danke dass wir daran teilhaben durften. Viele Grüße
Liebe Lizzy,
du hast einen wunderschönen Beitrag geschaffen! Und ich freue mich für Ole, dass er sich mit Eurer Unterstützung weiter entwickelt hat und es sicherlich weiterhin positiv weitergehen wird.
Bei meinem Neffen wurde das Asberger Syndrom festgestellt… Mal sehen wie es hier mit einer Therapie weitergeht..
Liebe Grüße
Sarah